Den Mädels ist an ihrem vorweihnachtlichen Schreibpult vor lauter Schrift-Gedöns doch nun fast die Feder aus der Hand entglitten. Ihre müden Finger entspannend, gönnten die Märchen-Freundinnen sich nun mit Knabbereien am Lebkuchenhäuschen eine kleine Pause, welche etwas ausartete…. Bei Kerzenduft und Glühweindunst plauderten sie über ihre Reise durch die Matrix des irdischen R e c h t s, sinnierten über ihre Erlebnisse der vergangenen zwölf Monate und unterhielten sich über das ständige Klagegeschrei ihrer Freunde… Bis beim Flaschendrehen urplötzlich, -und wie aus dem Nichts-, ein Hirsch entstieg. Sie tauften ihn „Artus“ und begannen, ihrem tierischen Orakel ihre Aufgaben, Herausforderungen und Sehnsüchte zu erzählen. Ein jedes Märchen-Mädel schilderte sein Begehr. Ob sie wohl dadurch neuen Perspektiven „Thyr und Thor“ eröffnet haben?
Mach´ auf die Thyr und das Thor mach´ weit…
#16 – Thörchen
Über dem Winterfeller Land tobt ein obskurer Sturm. [Während Großklabauterbach, -anstelle der potenten spanischen-, mit brasilianischen, englischen und südafrikanischen Fliegen und neuerdings sogar mit polnischen Flugsamenmutationen kämpft, lässt Drostenlos schon die oralen und analen Windelpakete feinstaubgeprüft aufblasen. Wohingegen das südlich gelegenere Kleinwielertal die Windhosen runterlässt, indem es eine Roßkurverordnung prüft und präventiv fleißig Do-it-yourself-Analabstriche vor Kassenlaufbändern verteilt. Im Nachbarort Kannichspahn treffen Dosenlieferanten, Spritzenmacher und Bio-Pfützen-Techniker am staatseigenen Gangsterbaggerloch aufeinander und gucken dabei völlig verwundert in dessen gähnenden Krater. Derweil wird im Königsmunder Schloss von der Sprüchebüchse die Stimme König Soedolfs auf Band gepresst, um dessen Astra-Zecken-Keulung im Dreiklang-Kanon von Vorsicht, Vertrauen und Verantwortung blechern von den Winterfeller Kirchtürmen ins gesamte Land hinaustragen zu lassen. Wie auf einem anderen Stern gelegen, scheint hingegen in der Schreibstube die Zeit völlig still zu stehen. Isabella schürt das Kaminfeuer, Charlotte buttert den Mais und Violetta präpariert die Popcorn-Maschine. Artus und der Rest der Märchen-Mädels haben die Ruhe weg. Sie sitzen bequem um das neu angeordnete Flaschendrehkreuz herum, schlürfen lässig orange-roten Champagner und lauschen der nahenden Götterdämmerung. Lieschen späht aus dem Fenster als plötzlich laute Rotorengeräusche zu vernehmen sind. Au weia. Jetzt heißt es Anschnallen. Opa Hans fliegt ein.
Opa Hans wechselte im Kalten Krieg die Fronten und brannte einst mit Oma Käthe nach Winterfell durch. Der Vier-Sterne-General hat sich seinen Titel unter anderem im Sondereinsatz in Absurdistan und im Wadi Kahn verdient. Sein Code-Name „Maestro“ bekam er aufgrund seiner herausragenden analytisch-ethischen Denkfähigkeiten, seinem feinen Situationsgespür und seiner umfangreich strategischen Kriegskunst- und Rechtskenntnisse. Zwar ist der „Maestro“ schon lange außer Dienst, jagt aber immer noch gerne Ratten, Echsen und Verräter. Noch heute eilt er unter Wasser gesetzten Indigenen gerne zu Hilfe für den Ausstieg aus deren irdischer Spinnenm a t r i x.
Opa Hans kommt, -im Kampfanzug versteht sich-, stramm auf die Schreibstube zumarschiert und winkt mit einem neugebundenen Wälzer mit der Aufschrift „Endstation irgendwas…“ in der Hand. Aufgeregt begrüßt der drahtige Rentner und Sonntags-Märchen-Schreiber die Mädels und steckt dem Hirschorakel sein neuestes Machwerk ins Geweih, für den seine Enkelin Lieschen und ihre Freundinnen nicht nur den Stoff geliefert haben, sondern dort auch noch die Hauptrollen besetzen.
Mit Systemaufbau und Verarschung kennt sich Opa Hans bestens aus. Weil er sein Wissen in Besitz genommen hat und Recht mit Ethik löst, wurde er u.a. für die schriftliche Niederlegung von Lieschens Abenteuerreise ins Phantasialand namens „R e c h t“ auserkoren. Dass die Mädels bereits schon von ihrem nächsten Wagnis zurück sind, lässt den General a. D. aufhorchen. Begeistert erzählt ihm Lieschen von ihrer Schiffsreise und dem papiertigernen Tatendrang ihrer Märchentruppe, der gierigen, schmierigen und gefräßigen Piraten die Hände bindet. So berichtet Charlotte von ihren Vorkehrungen zum Schutz ihrer Kinder vor Entnahme und Zwangsnadelung, die flotte Lotte von Titelergreifungen zur Eigentumssicherung mittels Katasteramtsauszügen u.a. von Santos Kneipe, Tuning Paules Werkstatt und Susis Etablissement. Und Marie, Roland und Rosinchen bewiesen ihre eigenhändige Namensunterschrift und erschufen so ihren eigenen Titel. Kurzum, die findige Märchentruppe hat ihr Recht zur Besitzergreifung genutzt! Opa Hans hatte beim Aufschreiben von Lieschens Abenteuerreise die geniale Idee einfließen lassen und wer hat denn gesagt, dass die notarielle Beglaubigung der Geburtenbuchabschrift*, so wie sie bislang schon für die Mädels ganz passabel funktioniert hat, eine Eintagsfliege bleiben soll? Lieschen und ihre Freunde dachten sich: „Haben wir etwas zu verlieren, wenn wir dem Amtsgericht Winterfell diesen Titel vor die Nase halten, nur weil z.B. die Halsabschneider Bank AG die Zwangsvollstreckung eingeleitet hat? Wir haben gar nichts zu verlieren und wir haben zumindest etwas getan!“
Denn:
Besitz wird mit einem Titel bewiesen. Ein Titel ist der (schriftlich niedergelegte) „Besitzrechtsgrund“. Ohne den vorzeigbaren (Papier)-Titel ist nichts sicher und man hat keine Rechte, denn ein reklamierbares Recht geht ausschließlich von einem Titel aus. „Alle Rechte fließen weg vom Titel“ (all rights flow from title). [Bouvier´s Dictionary 1856].
Piraten haben die Verfügungsrechte nicht, um rechtswirksame Willenserklärungen abgeben zu können. Piraten haben keine Werkzeuge für einen Staat, für Gesetze, für Definitionen, für Recht. Es fehlen ihnen die Indossamente, die die Rechteübertragung durch den Verfügungsgläubiger des Rechts erlauben. Verfügungsgläubiger im deutschen Landrecht des ALR 1794 ist das deutsche Volk (besser: die deutschen Völker und Stämme) und das hat den Piraten bestimmt nicht die Verfügungsrechte übertragen. Nebenbei bemerkt hat der Kaiser hochoffiziell auch nicht abgedankt, so dass das ALR am 27. Oktober 1918 nicht endete.
Natürlich lautet die legal korrekte Antwort wie üblich, dass Lieschen und Konsorten leider gar nichts besitzen. Sie könnten im Seerecht nur Inhaber sein, wenn es nicht den fatalen Umstand gäbe, dass ausgerechnet „ihre“ Namen dem Standesamt gehören und die Öffentlichkeit inklusive ihren Kindern alles besitzt. Von der HJR 192 weiß die Märchentruppe das ja bereits! Jetzt aber ist doch das Mädchen oder der Knabe mit seinem gesetzlichen Vor- und Familiennamen wieder aufgetaucht*. Die können doch jeden Besitzanspruch stellen? Kindesentnahmen, Zwangsversteigerungen oder Enteignungen sind in der aktuell tobenden Winterfeller Flugsamenshow groß in Mode gekommen und wenn die Mädels das ALR fragen, fehlt ihnen allen die Besitzergreifung!!!
Lieschen möchte an dieser Stelle für die Märchengemeinde nochmals ausdrücklich den nachfolgenden Umstand hervorheben und bittet praktisch um ein oder zwei Minuten des Gedenkens und der inneren Einkehr im Hinblick auf die Genialität ihrer Vorfahren: „Dass man den Einzelnen nach dem Recht des Landes mit seinem Heimatboden unauflöslich verbandelt hat, war ein echter Schachzug und eine justiziable Meisterleistung, die man gar nicht hoch genug würdigen kann. Wenn man dieses kleine Pünktchen gut genug verstanden hat, dann hat man die Eigenart des deutschen Rechts verstanden und den Grund, warum der bösartige Bundesstaatsangehörige der ärgste Feind der UN-Weltgemeinschaft ist.“
ERSTER THEIL. Siebenter Titel. ALR.
§. 4. Wer ein Recht ausübt, ist Inhaber des Rechts.
§. 5. Wer aber ein Recht für sich selbst ausübt, wird Besitzer des Rechts genannt.
§. 8. Beruhet dieser Besitz auf einem Rechtsgrunde, durch welchen das Eigenthum erlangt werden kann, so ist ein vollständiger titulierter Besitz vorhanden.
§. 12. Die Unwissenheit der Gesetze entschuldigt den nicht, der seinen Besitztitel irriger Weise für gültig geachtet hat.
§. 46. Zur Besitznehmung gehört nothwendig, daß der Gegenstand derselben, er sey Sache oder Recht, genau bestimmt worden.
§. 48. Ohne Besitzergreifung kann keine Art des Besitzes erlangt werden.
§. 96. Durch Handlungen unerlaubter Privatgewalt kann der Besitz einer Sache niemals erlangt werden.
*Die notarielle Beglaubigung der Geburtenbuchabschrift [und Ausschlagungserklärung der dt. StAg] ist die Voraussetzung der o.g. Märchen-Aktionen und ist ausführlich im Finale, Nachspiel, der Schritt-für-Schritt-Anleitung und Poesiealbum Nr. 2 reloaded behandelt. Und noch eine Anmerkung: Der gesetzliche Familienname des Vaters ist die alleinige Trägersubstanz aller staatlichen Rechte, insbesondere des Wohnsitzrechts! Der gesetzliche Familienname ist der silberne Titel!
Und noch ein Tipp von Artus: „Niemand kann etwas durch einen anderen machen, wenn er es selber nicht vermag.“ (Nemo potest facere per alium quod per se non potest.) [Bouvier`s 1856 Maximes of Law]
A r t u s & O p a H a n s
In „Endstation R e c h t“ hat Opa Hans Lieschens zu Ende gehende Abenteuerreise im R e c h t beschrieben und ihre fabelhaften Befreiungsschritte in eine märchenhafte Zusammenfassung gepackt:]
Die Märchenstube hat „Endstation R e c h t“ vertont. Die Audio- und Videodateien finden sich hier: